Biografie Hubert Distler

  • Hubert Distler

* 13.7.1919  † 1.6.2004

1919 Geburt am 13.7. in Lindau am Bodensee – er wuchs als Sohn von Georg Distler, einem Dampflokomotivführer und Margarete Distler (geb. Münch) mit einer 2 Jahre älteren Schwester Marie in der hinteren Fischergasse auf der Insel auf. Mit seiner Familie zog er 7-jährig 1926 nach Schongau. In der Realschule in Weilheim (1931-37) wurde er offenbar schon als bester Zeichner der Schule geschätzt.

Noch vor Abschluss der Schulzeit (1936) führte ihn seine erste Reise mit 17 durch einige Städte Deutschlands …

1938 Funkerprüfung nach dem Einzug zur 2-jährigen Grundausbildung als Soldat.

1939 Beginn des 2.Weltkrieges; er musste als Funker in einem Panzerspähtruppwagen an den Überfällen auf Polen, Tschechei, Frankreich und schließlich Russland (1941) teilnehmen und leistete diesen Dienst. Er verblieb als „Obergefreiter“ auf dem niedrigsten militärischen Rang: in einer während des Krieges gefundenen Beurteilung war er: „… zum Offizier nicht geeignet, da jegliches Interesse am Dienste fehlt!“ (aus seinen autobiographischen Notizen). Lieber zeichnete und malte er offensichtlich in den Pausen zwischen den todesnahen Spähtrupp-Aktionen und Kriegs-Erlebnissen die sich ihm anbietende Motive. 1942 wurde Hubert Distler ein Feldurlaub genehmigt, in welchem er die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Bildenden Künste in München bestand. Er konnte bei Prof. Klemmer sein Studium an der Akademie aber nur kurz aufnehmen. Denn noch im Herbst desselben Jahres wurde er wieder zum Militärdienst eingezogen. Er wurde teils auch als Hilfssanitäter tätig.

Weitere Kriegserlebnisse, auch viele Sterbeerlebnisse, belasteten ihn schwer und Sinn- wie Schuldfragen begannen Hubert Distler noch intensiver zu beschäftigen. Viele Jahre, auch längst nach dem Krieg, bearbeitete er die Kriegs-Erlebnisse und die Nazizeit mit ihren Überfällen, und den damit natürlich auftauchenden Fragen um den unsinnigen Krieg, Leben, Tod, und Schuld.

1943, während des Rückzugs von Stalingrad erlitt er jedenfalls eine schwere Kriegsverletzung: ein Granatsplitter trennte das Bein am Oberschenkel ab. Auf der Fahrt ins Lazarett verlor er das abgestorbene linke Bein in einer sein Leben doch noch rettenden Operation (23.10.1943). Doch es kam aufgrund von Komplikationen zusätzlich zu einer Serie von weiteren Infektionen und Entzündungen und wiederholten Nervenoperationen. Es erschien ihm im Grund wohl wie ein großes Geschenk, weiterleben zu können und er lebte intensiv auch für die Kunst. Aber häufige massive nächtliche Phantomschmerzen sollten ihn seither während seines weiteren Lebens begleiten.

Aus seiner ersten Ehe stammen die Töchter Ursula und Sabine, aber diese Ehe wurde schon bald wieder geschieden.

1946 konnte er das Studium der Monumentalmalerei und Wandgestaltung bei Professor Klemmer wieder fortsetzen. In der Klasse von Prof. Franz Nagel entwickelte er sich so gut, dass er zum Meisterschüler mit zugehörigem Stipendium wurde. Schon während der Studienzeit beteiligte sich Hubert Distler an ersten Ausstellungen und Wettbewerben. 1948 erhielt er seinen wohl ersten Auftrag für ein Fresko an der Fassade der damaligen Gerberei Rößler in Haag. 1952 schloss Hubert Distler das Studium ab. (Nebenfächer waren: Radieren, Holzschnitt, Textilkunst und Schreinerei). Er wurde mit klaren Worten gewürdigt: Er „ … ist ein künstlerisch hochbegabter Mensch, der auf Grund seiner ausgezeichneten Leistungen zum Meisterschüler ernannt wurde. Seine äußerst produktive Tätigkeit umschließt das grafische Blatt und das Tafelbild ebenso, wie den Wandteppich und das Freskobild. Seine Arbeiten sind von charakteristischer Eigenart und fanden noch in seiner Studienzeit die öffentliche Anerkennung in Ausstellungen und Aufträgen. Hubert Distlers feine menschliche Art und die Kompromisslosigkeit seines Strebens lassen für seine weitere Entwicklung das Beste erwarten.“ (Prof. Franz Nagel im Abschlusszeugnis)

1952 heiratete Hubert die Studienkollegin Eva Beer. Dieser zweiten Ehe entstammten Dedo (geb. 1953) und Marina (geb. 1957), was das bisher angestrebte „künstlerische Gleichgewicht“ beider Partner stark veränderte. Dennoch half Eva Distler daneben lange bei der Umsetzung vieler Aufträge – anfangs mit dem Erstellen von Zeugnissen in altdeutscher Schrift, dann auch dem Nähen von Wandbehängen und Antependien und anderen Aufgaben mehr. Der Beginn der Selbständigkeit war für Hubert und Eva nicht leicht und die existenzielle Zukunft sehr ungewiss.

Das Wohnzimmer in der Keferstraße in Schwabing wurde zunächst von 1952 bis 1958 – als provisorisches „Atelier“ mitverwendet. 1957 erfolgte eine erste eine Begegnung mit dem Architekten Olaf Andreas Gulbransson. Aber nur wenige Jahre später kam es jäh zu einem unerwarteten Ende durch dessen Unfalltod. Mit ihm hatte sich eine freundschaftliche Zusammenarbeit bei der künstlerischen Gestaltung der Kirchen dieses Architekten entwickelt; Hubert Distler konnte beginnen, an der Umsetzung seiner Vorstellungen der Verbindung von Architektur und künstlerischer Gestaltung zu arbeiten.

Ab 1958 mietete Hubert Distler sein erstes Atelier in der Mandlstraße in Schwabing. Es wurde sein Rückzugsort für künstlerisches Schaffen im Sommer wie bei Frost. Bei Besuchen roch es immer nach Terpentin und Buchdruckfarbe.

Aus vielen Reisen sind besonders die 2 Studien-Reisen in die Camargue hervorzuheben , denn sie beeinflussten Huberts Stil – nicht allein, aber intensiv sowohl in der Auftragskunst wie in der Freien Kunst: Noch 1957 unternahm er die erste Reise in die Camargue (Rhone-Delta). Diese Reise führte Hubert nämlich zu tiefgreifenden, eigentlich existenziellen Erlebnissen der dortigen Natur und unmittelbar erfahrbaren Naturkräfte; Variationen über die Eindrücke „Sonne und Dornen“ die für ihn symbolisch in etwa für Erhabenheit und Lebenskampf auf der Erde standen, wurden zeichnerisch, grafisch und malerisch erarbeitet und festgehalten. (Diese Erlebnisse waren auch thematische Grundlage für die vier Faschingsdekorationen im Haus der Kunst der Folgejahre, und trugen ihn weiter thematisch durch lange Schaffenszeiten.)

1959 kam es zur zweiten Reise in die Camargue, in der er sich von den tiefgehenden Erfahrungen in und mit der dortigen rauen Natur erneut ähnlich ergriffen fühlte. Die Welt bestand nun aus Himmel und Erde, Oben und Unten, Ordnung-Chaos …; sie bestand auch dem ständigen Kampf und Leiden (Dornen) auf der Erde mit der großen Weite und Kraft von Himmel und Energie spendender, ordnender Sonne. Solches Ergriffensein und Einwirken von „Ur-Kräften“ inspirierte also Hubert Distler sehr. Diese große Offenheit, sich existenziell tief berührt zu fühlen, begleitete ihn durch sein ganzes Leben. Sonne und Erde mit vielem, wofür sie stehen können, hatten lebenslange Bedeutung mit großem Einfluss auf seine Arbeiten … Das Erlebte verarbeitete er dann im Atelier anhand von Zeichnungen, Skizzen und Erinnerungen zu Grafiken.

1961 verstarb schon mit 66 der Vater Georg. Dies scheint weniger Einfluss auf das Schaffen gehabt zu haben.

1963 schließlich wurde das neue Haus mit großem Atelier in Grafrath fertiggestellt und bezogen. Das ermöglichte Hubert Distler, sich im Atelier neben den vielen Auftragsarbeiten auch vermehrt der „freien Kunst“ zuzuwenden. Dort schuf er die vielen Entwürfe und Modelle für die Auftragswettbewerbe und -Ausführungen oft in den sakralen Räumen. Und dazwischen – im freibleibenden Raum schuf er im Lauf der Jahre viele Grafiken und sogenannte ‚Zyklen‘, in denen sich Themen und vor allem Eindrücke aus bereisten Ländern verdichteten.

Vor allem in den Sechzigern entwickelte sich eine beständige Freundschaft und Zusammenarbeit mit hoher Synergie mit dem Architekten Franz Lichtblau und Theo Steinhauser, für die er ein bewährter künstlerischer Innenraumgestalter und Freund war. Die Dichte der Aufträge führte zur vollen Auslastung Huberts. Neben der Gestaltung großer Wände und Glasfenster mussten auch viele Arbeiten an kirchlichem Interieur bis hin zu Antependien geleistet werden.

Viele Mitarbeiter, angefangen bei seiner Frau Eva, halfen mit, die vielen anfallenden Arbeiten zu bewältigen. Hubert drückte allen ausdrücklich seinen herzlichen Dank dafür aus: u.a. Johann Däubler, Dedo Distler, Karl Vogt, Anne Samhammer, Anne Hitzker-Lubin, Katrin Lichtblau, Anita Rist-Geiger, Norbert Sattler, Johannes Kirsch, Christa Sedlmair, Gudrun Hetzel, Johannes Senf, Ingeborg Mende, Julia Elsässer ohne dabei alle nennen zu können.

Den Dank empfand er wohl auch bei den runden Geburtstagen im Ausrichten von großen Feiern runder Geburtstage, bei denen der gesellige Hubert alle Beteiligten gerne um sich hatte und vor Leben sprühte.

Ein zusätzliches Anliegen war es ihm, möglichst auch bei der (Mit-)Gestaltung von Ausstellungen präsent zu sein und Referate über sein Schaffen zu halten, in denen er oft sehr persönliche Einblicke in sein Erleben gewährte.

Trotz des Engagements durch die immer dichter getakteten Aufträge versuchte Hubert möglichst gut Raum für die Freie Kunst in Form von Holzschnitten, Drucken, Grafiken und Zeichnungen zu bewahren. Er entwickelte auch spezielle Techniken wie die Glasdruck-Pinselzeichnung.

1975-1985 Viele Aufträge, viel Reisen mit unzähligen Reiseskizzen und viel freier Kunst mit Verarbeitung der Erlebnisse in Zyklen; daneben Erweiterung des großen Ateliers durch ein kleineres nebenan in Eigenregie … wieder gute Jahre, resümiert er selbst! Hilfreich für ihn: „… waren alle 2 Jahre heilgymnastische Kuren für Schwerkriegsgeschädigte, viel Schwimmen, Sauna, Knoblauch, Reisen und einige liebe Freunde.“ (aus seiner kurzen autobiografischen Skizze) In den 80-igern wurden Hubert Distler zudem für sein (Lebens-)Werk Preise verliehen: 1980 der Kunstpreis der Ev.-Luth. Landeskirche in Bayern (in Verbindung mit einem Bild aus dem Israel-Zyklus), 1983: der Kunstpreis des Landkreises Fürstenfeldbruck/Malerei und 1988: Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (verliehen durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker)

Mit persönlich herben Enttäuschungen etwas zurückgezogener geworden und einem in letzten Krankheitsjahren schmerzfreieren Leben verstarb Hubert Distler schließlich am 1.6.2004.

Viele seiner doch gut 84 Jahre konnte Hubert Distler mit vielem ausfüllen und leben. Im Rückblick würde er jetzt wieder stolz auf eine immense und regelmäßig künstlerisch gut gelungene Auftragsbewältigung zurücksehen: Im Lauf seines Auftragsschaffens konnte er trotz phasisch auftretender sogenannter „Phantom“-Schmerzen (aufgrund des amputierten Beins) insgesamt ca. 340 Aufträge annehmen und ausführen, mit der Kriegsverletzung und einem Holzbein auf vielen Gerüsten … Wie das zu schaffen war!?

Er würde zudem auf seine rege Reisetätigkeit zufrieden zurückblicken können, aus der so viele Impressionen und Eindrücke in seiner sogenannten ‚Freien Kunst‘ überleben, die ihn ganz besonders zufriedenstellte: Das waren konkret nicht wenige, ca. 60 Reisen:

Italien (1950) und zum Bodensee, Ibizza (1956), Camargue (Rhone-Delta) (1975 und 1959), Dolomiten (1959), Griechenland (1960), Dänemark (1961), Mosel (1962), Griechenland (1962), Griechenland (1963), Griechenland (1964), Skandinavien (1968), Israel (1971), Siebenbürgen (1972), DDR (1972), Israel (1973), Türkei (1975), Siebenbürgen (1975), Vorarlberg (1976), Ägypten (1977), Israel (1978), Irland (1979), Peloponnes (1980), Polen (1980), Rumänien (1981), Kykladen: Kaiki (1981), Ägypten (1981), Ionische Inseln-Peleponnes: Kaiki (1982), Ägina (1982), Türkei Rhodos: Kaiki-Reise (1983), Griechenland und Istanbul Kaiki-Reise (1984), Engadin (1984), Ägypten (1985), Türkei: Kaiki (1985) Türkei-Antalya-Lykien: Kaiki (1986), Rom (10/1986), Ägypten (1986), Türkei – Griechenland-Türkei: Kaiki (1987), Ägypten (1987), Moskau, Leningrad (1988), Kykladen (Patmos) : Kaiki (1988), Paris und Linz (1989), Griechenland: Kaiki (1989), Türkei (1990), Griechenland: Kaiki (1990), Reise ins Engadin (1991), Dodekanes – türk.-griech. Inseln: Kaiki (1991), Griechenland, Seriphos, Milos: Kaiki (1991), Griechenland: Kaiki (1992), Griechenland, Türkei: Kaiki (1993), Kanada (1994), Ravenna (1994), Griechenland: Kaiki (1995), Peloponnes: Kaiki (1996), Ravenna (1997), Peloponnes: Kaiki (1991), Griechenland (2002) … .

Im Wahrnehmen seines grafischen Werks können wir an dem teilhaben, was er gesehen und erlebt, schöpferisch bearbeitet, erzählend-narrativ verdichtet und uns so hinterlassen hat.